Dienstag, 8. März 2016

Wem erzählen wir was und wie viel?
Das ist eine relativ schwierige Frage.

ADHS gilt ja in der heutigen Zeit irgendwie als Modediagnose.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass wenn man jemandem erzählt, dass man Kinder mit ADHS hat, beim anderen folgendes Bild im Kopf entsteht: „Aha, die haben ihre Kinder nicht im Griff, schieben das jetzt auf eine dubiose Krankheit, und stellen die armen kleinen mit Psychopharmaka ruhig“.
In den Medien liest man immer häufiger, dass die Verschreibungsquoten für Präparate mit Methylphenidat und Atomoxetin  (das sind i.d.R. die „weapons of choice“ um ADHS zu behandeln) Jahr für Jahr enorm in Höhe gehen.
Es mag sein, dass ADHS inzwischen vielleicht tatsächlich zu häufig diagnostiziert wird, und dass zu häufig zur chemischen Keule gegriffen wird.
Doch es ist wirklich sehr mühselig ständig jeden davon zu überzeugen, dass wir bei jeder Diagnostik sehr gründlich waren, alles abgesichert haben, und unseren Kindern niemals Psychopharmaka geben würden, wenn es nicht wirklich das beste für sie wäre.
Zum Thema Medikation möchte ich aber noch mal einen gesonderten Post verfassen.

Ich bin selbst auch von beiden „Problemen“ betroffen, und dosiere diese Information sehr sparsam.
Selbst mein langjähriger Hausarzt, ein sehr gründlicher Mann, den ich insgesamt wirklich sehr schätze, hatte keine Akzeptanz für mein ADHS.
Er berief sich eher auf die Überschneidung der Symptome zur Hochbegabung, und war der festen Überzeugung, dass alle meine ADHS Symptome durch massive Unterforderung ausgelöst wurden.
ADHS war für ihn eher ein konstruiertes Syndrom, dem eigentlich andere Ursachen zugrunde liegen.

Ein großes Problem von ADHS ist, dass jeder Mensch einige der Symptome von sich selbst kennt.
Z.B. Unkonzentriertheit oder die Unfähigkeit, Dinge zu Ende zu bringen.
Punktuell hat das sicher fast jeder Mensch schon mal auf die eine oder andere Art bei sich erlebt.
„Normale“ Menschen haben das aber meistens überwunden und in den Griff bekommen.
Durch Übung, Disziplin, Druck von außen etc.
Es ist ihnen unbegreiflich, warum das nicht bei jedem funktionieren sollte.
„Ja, ich bin auch manchmal unkonzentriert. Aber dann muss man sich halt mal zusammenreißen!“ ist oft der Tenor, der mitschwingt.
Das ist ein sehr großes Problem.
Über einem Rollstuhlfahrer würde niemals jemand denken, dass der sich doch bitte mal zusammenreißen soll, damit er aufstehen und laufen kann, weil den Menschen die eigene Erfahrung mit dem Symptom und seiner Überwindung fehlt.
Dass sie einzelne ADHS Symptome von sich kennen und überwunden haben, projizieren sie auf die ADHS-ler, und gehen davon aus, dass diese das auf die selbe Weise überwinden könnten.
Die Einnahme von Medikamenten wird einem dann als „der leichte Weg“ ausgelegt.
Das ist alles leider ein großer Irrglaube, denn so funktioniert es nicht.
ADHS ist kein Mangel an Charakter, ist nicht die Unlust sich zusammenzureißen, oder ein Wesenszug mit Hang zur Disziplinlosigkeit.
Es ist ein Thema des Stoffwechsels, genauer der Botenstoffe im Gehirn, also ein physiologisches bzw. organisches Thema.
Doch wie schafft man dafür Akzeptanz?
Ich weiß es nicht...vielleicht indem man einen Blog verfasst?

Überraschenderweise haben wir aber festgestellt, dass das Thema Hochbegabung der Kinder unterschwellig zu noch schwierigeren Reaktionen im Umfeld führen kann.
Bei der älteren Generation (i.d.R. also die Großeltern) stellt sich häufig die Sicht ein: „Wenn das Kind so klug ist, warum benimmt es sich dann so komisch?“.
Bei befreundeten Familien, die Kinder in ähnlichem Alter zu unseren hatten, gab es zum Teil richtigen Neid.
Oft nur unterschwellig, aber doch immer mal wieder spürbar.
Eine gute Freundin der Familie hat es aber auch mal schön artikuliert (wofür wir sehr dankbar sind), dass sie irgendwie neidisch ist, dass unsere Kinder Dinge einfach nur ein mal hören, sehen oder lesen müssen, und sie dann meistens wissen oder verstanden haben, während das ihren Kindern viel schwerer fällt.
Wahrscheinlich fühlt sich das für viele wie eine Art Wettbewerbsvorteil unserer Kinder an.
Dass unsere Kinder es damit eigentlich viel schwerer haben, als andere Kinder, wird sehr selten gesehen.
Auch wenn andere Menschen oft sagen, dass sie sich vorstellen können, dass das für uns sehr schwer sein muss, so spüren wir sehr häufig, dass sie es nicht wirklich so meinen, und immer diesen Wettbewerbsvorteil sehen.
Hochbegabte Kinder lernen manchmal von selbst, dass es für sie besser ist, wenn sie nicht mit ihren Fähigkeiten auffallen, und stellen sich deshalb lieber dumm.
Für das Gedeihen eines gesunden Selbstbewusstseins ist das nicht unbedingt ideal.
Zwei unserer Kinder besuchten zeitweise ein allgemeinbindendes Gymnasium mit Hochbegabtenzug.
In jedem Jahrgang gab es immer fünf Parallelklassen (A bis E), und die C-Klasse war immer die Hochbegabtenklasse.
Schon bei der Einführung des Hochbegabtenzugs wurde dieser beim nächsten Abi-Streich von den Abiturienten verhöhnt (Abitur=Matura=Reife???).
Bei der Vorstellung der neuen Schüler und Klassen zum Schuljahresbeginn im Rahmen einer kleinen Feier wird immer jeder fünften Klasse und ihren Schülern lautstark applaudiert.
Bei der C-Klasse herrscht immer Totenstille.
Sozialkontakte von Schülern der C-Klassen zu Kindern aus den Parallelklassen sind äußerst selten.
Wenn man dann noch bedenkt, dass sich Hochbegabte sehr viel mehr Gedanken über alles machen, sich selbst und ihr Leben viel mehr hinterfragen als andere Kinder, dann wundert man sich, wie diese Kinder diese Ausgrenzungen überhaupt ertragen.
Mir schießen, während ich das schreibe, die Tränen in die Augen.

Ich möchte in diesem Post nicht ins Jammern kommen.
Aber die Akzeptanz im Umfeld ist sicher eines der größten Probleme überhaupt.
Es ist für uns Eltern ein sehr schmaler Grat, wie wir damit umgehen, und wie wir das alles unseren Kindern „verkaufen“.
Zwischen einerseits der notwendigen Bodenhaftung für die Kinder, durch die ihnen klar wird, dass es bestimmte Basics gibt, die auch sie leisten müssen, und dass vor allem die Hochbegabung sie nicht zu etwas besserem macht.
Und andererseits der Stärkung die sie erfahren müssen, damit sie ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen können, und sich selbst so annehmen und lieben können, wie sie sind.

Wie sind ihre Erfahrungen mit der Akzeptanz im Umfeld?
Egal ob ADHS oder Hochbegabung?
Schrieben sie es gerne in die Kommentare!

Ich wünsche allen noch einen schönen Tag



AHA Blogger

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